Es ist nicht
unser Bestreben, hier an dieser Stelle über die Vielfalt der
Forschungsaktivitäten in der AG Zahlentheorie zu
berichten – es würde den vorgegebenen Rahmen sprengen,
andererseits geben die Schautafeln im Bauteil D 3 einen ausreichenden
Überblick. Stattdessen
wollen wir einige "Hintergrundinformationen" zu unserer Suche nach
großen Primzahlzwillingen geben. Dabei könnte das Motto des
Themenkreises lauten: "Auch Mathematiker gehen zuweilen auf
Rekordjagd", wie es die Wochenzeitschrift DIE ZEIT
am 17.5.1996 in ihrem
Bericht über unseren Primzahlzwillingsrekord formuliert hat.
Für uns war dieser "sportliche Grund" aber nicht alleine
maßgebend.
Primzahlen und Primzahlzwillinge
Allen ist bekannt: Eine
Primzahl ist eine natürliche Zahl größer als 1, die
durch keine weitere natürliche Zahl außer der 1 geteilt
wird. Dies ist auch die Definition der Zahlentheoretiker, andere Mathematiker benutzen ab und zu andere Definitionen. So ist etwa für den
Funktionentheoretiker eine Primzahl die ganzzahlige Wurzel der analytischen Funktion
für den Algebraiker ist sie
oder
"eine nicht-archimedische Bewertung",
der Kombinatoriker definiert die Primzahlen induktiv durch die Rekursion
([x]: ganzzahliger Teil von x)
und der Logiker als die positiven Werte des Polynoms
F(a, b, c, d, e, f, g, h, i, j, k, l, m, n, o, p, q, r, s, t, u, v,w, x, y, z) =
(k + 2){1 – (wz+ h + j – q)2– (2n + p + q + z –e)2 – (a2y2– y2 + 1 –x2)2– [(e4+ 2e3)(a + 1)2+ 1 – o2]2– [16(k + 1)3(k+ 2)(n + 1)2+ 1 – f2]2– [((a + u4– u2a)2– 1)(n + 4dy)2+ 1 – (x + cu)2]2– (ai + k + 1 – l –i)2 – [(gk+ 2g + k + 1)(h + j)+ h – z]2– [16r2y4(a2– 1) + 1 – u2]2– [p – m + l(a–n–1)+ b(2an + 2a – n2– 2n – 2)]2– (n + l + v – y)2– [z – pm + pla– p2l + t(2ap– p2 – 1)]2– (a2l2– l2 + 1 –m2)2– [q – x + y(a– p – 1) + s(2ap + 2a– p2 – 2p –2)]2}.
Wir begnügen uns mit der erstgenannten Definition.
Über die Verteilung der Primzahlen haben wir bereits seit Euklid erste Informationen: Es gibt unendlich viele Primzahlen.Seine
Argumentation gilt bis heute als Paradebeispiel für einen
eleganten mathematischen Beweis, den wir alle in der Schule
kennengelernt haben und den
auch die, für die Mathematik ein Horror war, verstehen konnten.
Das genannte Resultat läßt sich auch anders formulieren: Die
Primzahlenfunktion
(x), die die Anzahl der Primzahlen unterhalb x angibt, strebt gegen
für . Gauss vermutete bereits als Fünfzehnjähriger (1792), daß
ist, aber erst 1896 konnte dieses Resultat bewiesen werden. Dieser sogenannte Primzahlsatz läßt sich auch statistisch
interpretieren: Die Wahrscheinlichkeit für eine natürliche Zahl der Größenordnung x, eine Primzahl zu sein, ist ungefähr
1 / log x, d.h. in einem Intervall um x der Länge a liegen etwa a / log x Primzahlen (damit
dies statistisch sinnvoll ist, sollte a genügend groß, aber klein im Vergleich zu x sein). Entsprechend ist die Wahrscheinlichkeit
dafür, daß zwei zufällig (in der Umgebung von x) gewählte Zahlen beide Primzahlen sind, etwa
1/(log x)2. Bezogen auf Primzahlzwillinge, d.h. Paare von Primzahlen, deren Differenz 2 ist,
bedeutet dies, daß in Intervallen der genannten Art a/(logx)2 Primzahlzwillinge zu erwarten
sind. (In Wirklichkeit etwas mehr, da die Tatsache, daß n prim ist, die Wahrscheinlichkeit für n+2, prim zu sein, verändert (z.B.
ist n+2 dann sicher ungerade)). Heuristische Überlegungen führen zu einer Formel
für die Anzahl der Primzahlzwillinge im Intervall [x, x+a].
Numerische Rechnungen führen zu
überraschenden Übereinstimmungen mit der Theorie,
überraschend insbesondere für Primzahlzwillinge, da noch
nicht einmal bekannt ist, ob
unendlich viele Primzahlzwillinge existieren.
Intervall |
Primzahlen |
Primzahlzwillinge |
erwartet |
gefunden |
erwartet |
gefunden |
[108, 108+ 150.000] |
8142 |
8154 |
584 |
601 |
[1010, 1010+ 150.000] |
7238 |
7242 |
461 |
466 |
[1011, 1011+ 150.000] |
5922 |
5974 |
309 |
276 |
[1012, 1012+ 150.000] |
5429 |
5433 |
259 |
276 |
[1013, 1013+ 150.000] |
5011 |
5065 |
221 |
208 |
[1014, 1014+ 150.000] |
4653 |
4643 |
191 |
186 |
[1015, 1015+ 150.000] |
4343 |
4251 |
166 |
161 |
Suche nach großen Primzahlzwillingen
In einem Projekt
"Massiv parallele Rechner in der Computational Number Theory"
entwickelten und implementierten wir Algorithmen für das schnelle
Rechnen (z.B. Multiplikation) für sehr große Zahlen mit bis
zu einer Milliarde Binärstellen. Bezüglich der
erreichten Rechengeschwindigkeit, etwa der Multiplikation, haben wir
einige Vergleiche in der folgenden Abbildung angegeben.
Die klassische
Schulmethode ist nur für Zahlen mit weniger als einigen hundert
Binärstellen optimal (jeweils abhängig von der
Hardware). Weit besser ist – bis zu zehntausend Binärstellen
– die einfache rekursive Methode von Karatsuba. Für noch
größere Zahlen sind
komplexere Methoden, die auf der Fast-Fourier-Transformation (FFT)
beruhen, den anderen Verfahren überlegen. Eine Möglichkeit
ist die Gleitkomma FFT,
eine andere die schnelle Multiplikation in Restklassenringen auch die
modulo Fermatzahlen. Welche schneller ist, hängt jeweils von der
Hardware ab. Zum
direkten Vergleich mit den von Schönhage A. (Schönhage et.
al. Fast algorithms: a multitape turing machine implementation.
BI-Wiss.-Verlag 1994)
veröffentlichten Zeiten von 30 µs, 7ms, 3s für die
Multiplikationen von 160 bit-, 3200 bit- bzw. 332224 bit-Zahlen sind
unsere Zeiten 12
µs, 1.3 ms bzw. 0.46 s, wobei alle Resultate jeweils auf einer
SUN S10 40 MHz erzielt wurden.
Die
Geschwindigkeit der Multiplikationen ist der "kritische" und
ausschlaggebende Teil in vielen Bereichen der
"Computational Number Theory" oder auch der numerischen Mathematik.
Denn nicht nur die Division kann auf die Multiplikation
zurückgeführt
werden (indem man die Newton-Approximation zur Berechnung der
Reziproken benutzt), sondern auch die Multiplikation von Polynomen, die
Berechnung algebraischer
und anderer Funktionen und weiterer, darauf basierender Operationen.
So ist die
Multiplikation beispielsweise grundlegender Bestandteil unserer
Programme für probabilistische Primzahltests und des
Primzahltests für Fermatzahlen Fn = 22n+ 1. Die beiden folgenden Diagramme vermitteln einen guten
Eindruck von der erreichten Geschwindigkeit, insbesondere gegenüber Supercomputern.
Kehren wir
zurück zur eingangs erwähnten Rekordjagd nach großen
Primzahlzwillingen. Das zugrundeliegende Such-Prinzip
läßt sich kurz wie folgt beschreiben.
-
Die Suche wurde für die Zahlen in der arithmetischen Progression
(5775 + 30030h)260000 ±1 geplant. Hierbei war der Exponent 60000 fest, während sich h zwischen 1
und 227 bewegte.
-
Aus dieser Folge wurden alle Zahlen herausgesiebt, die einen Faktor zwischen 7 und 241
besitzen. Genau 280.186 Kandidaten überstanden diese Prüfung.
-
Danach
wurden die Kandidaten einem probabilistischen Primzahltest unterzogen,
zuerst der –1 Fall, danach der +1 Fall, bis ein
"wahrscheinlicher Primzahlzwilling" gefunden wurde. Bereits der 65.000.
Kandidat erwies sich als "wahrscheinlicher" Rekordzwilling.
-
Dieser
Zwilling wurde mit exakten Tests (der –1 Fall durch einen Test
von Lucas, der +1 Fall durch den Test von Brillhart, Lehmer und
Selfridge) überprüft, und dann stand fest:
2.409.110.779.845·260000± 1 sind Primzahlzwillinge.
Literatur
-
K.-H. Indlekofer, A.
Járai, Largest known twin primes, Math. Comp. 65(1996),
427-428. MR 96d:11009
-
K.-H. Indlekofer, A.
Járai, Some world records in computational number theory,
Leaflets in Mathematics, Janus Pannonius University, Pécs,
6(1998), 49-56, ISSN 1416-0935
-
K.-H. Indlekofer, A.
Járai, Largest known twin primes and Sophie Germain primes,
Math. Comp. 68(1999), 1317-1324. MR 99k:11013