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Die ungarische Bischofsstadt Debrecen hat einen ausgeprägt evangelisch-reformierten Charakter
Geistiges Zentrum der Freiheitsbewegung
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Debrecen. Als Kultur-, Industrie- und Handelszentrum nimmt Debrecen in
Geschichte und Gegenwart für Ungarn einen ranghohen Platz ein. Die heute rund
220 000 Einwohner zählende Stadt, im nördlichen Theißtiefland am Rand der
größten Pußta Europas gelegen, gilt als „calvinistisches Rom“. Ihre
enge Verbundheit mit der Reformierten Kirche findet nicht zuletzt in dem
Wappen, das Stadt und Kirche gemeinsam führen, ihren Ausdruck.
Nachweise erster Ansiedlungen in dem furchtbaren Gebiet reichen in die
Steinzeit zurück. Debrecens Namensgeber kam mit den Magyaren im 9. Jahrhundert
ins Land. Sein Gut legte mit zwei weiteren Dörfern die Grundsteine für die
erblühende Stadt, die 1361 von Ludwig dem Großen ihre Rechte erhielt.
Viehzucht, Landwirtschaft und Handwerk festigten bis zum 15. Jahrhundert ihre
führende Rolle östlich des Theiss. Dies konnte weder der Sturm der Tartaren,
noch in der Folge der Türken verhindern. 1848/49 war Debrecen wichtiges
Zentrum der Freiheitsbewegung, die allerdings niedergeschlagen wurde.
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Große Teile der Stadt wurden im zweiten Weltkrieg beschädigt oder zerstört. 1944
bildete sich hier die erste unabhängige ungarische Nachkriegsregierung und
verfaßte die wichtigsten Grundgesetze des Landes. Nach 1945 weitete sich hier
die Industrie in großem Umfang aus.
Mit Debrecen bekommt die katholische Bischofsstadt Paderborn zum ersten Mal im
Reigen ihrer Freundschafts- und Partnerstädte ein Pendant mit ausgeprägt
evangelisch-reformiertem Charakter. Debrecen ist Bischofssitz der mit 400
Gemeinden größten von vier Diözesen der Reformierten Kirche
Ungarns; sie geht auf den calvinistischen Einfluß im 16.
Jahrhundert zurück. Das 1538 gegründete Reformierte Kollegium bildet noch
heute ein geistiges Zentrum, das eng mit der ungarischen Unabhängigkeitsbewegung
verknüpft ist. Erst 1993 errichtete hier auch die römisch-katholische Kirche
(75 Gemeinden) ein Erzbistum.
Zu der Städteverbindung Paderborn - Debrecen trug wesentlich die
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Zeichen der Verbundheit zwischen der Stadt Debrecen und der Reformierten Kirche: das gemeinsame Wappen.
Zusammenarbeit der Universität
Paderborn mit der Lajos Kossuth Unversität Debrecen bei.
Erste Kontakte zwischen den beiden Hochschulen kamen Ende der 70er
zustande und entwickelten sich mittlerweile zu einem breiten Wissensaustausch.
Auf die Initiative des Paderborner Mathematik-Professor Dr. Karl-Heinz
Indlekofer sind letztlich sowohl auf Hochschul- als auch auf Stadtebene
die Verträge zurückzuführen, die nun die Freundschaft besiegeln sollen.
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Ansprache des Rektors der Universität Paderborn anläßlich der Unterzeichnung der
Freundschaftsurkunden zwischen den Universitäten Debrecen und Paderborn
Meine Herren Bürgermeister,
Herr Kollege Nagy,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
für eine Universität sind internationale Kontakte unerläßlich.
So unterhält auch die Universität Paderborn zahlreiche Austauschbeziehungen mit Universitäten in
Europa, Amerika, Asien und Australien. Viele dieser Kooperationen entstanden entweder durch
Forschungskontakte oder durch die Beteiligung an europäischen Förderprogrammen. Diese Kooperationen
betreffen in der Regel ein Fach bzw. einen Fachbereich.
Eine Hochschulpartnerschaft dagegen umfaßt potentiell alle Bereiche der Universität. Das heißt, eine
große Zahl von Studierenden und Lehrenden überschreiten jährlich Grenzen, leben und studieren in der
Partnerstadt, arbeiten dort an ihrer Diplom- bzw. Magisterarbeit oder an ihrer Dissertation; messen
sich sportlich oder perfektionieren ihre Sprachkenntnisse.
Eine solche Hochschulpartnerschaft wollen heute die Kossuth Lajos Universität Debrecen und die
Universität-Gesamthochschule Paderborn offiziell besiegeln. Die vorliegende Vereinbarung hat zum Ziel,
die wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit zu erleichtern, sowie den Austausch und Kontakt
von Lehrenden, Studierenden und sonstigen Hochschulmitgliedern beider Universitäten zu fördern.
Die beiden Hochschulen hoffen, damit aber auch einen Beitrag zu der heute offiziell geschlossenen
Städtepartnerschaft leisten zu können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Kontakte zu ungarischen Wissenschaftlern gibt es seit vielen Jahren. Es waren die Bereiche
Mathematik-Informatik, Germanistik, Sozialwissenschaften und Landespflege, die die ersten Kontakte
anbahnten. 1986 wurde ein Kooperationsvertrag mit der Eötvös Loránd Universität in Budapest
abgeschlossen. Aber auch bereits seit 1990 besteht eine intensive Zusammenarbeit mit der Universität
Debrecen. Sie begann im Fach Mathematik im Rahmen eines von der europäischen Union geförderten
Tempusprojektes. In letzter Zeit hat sich das Interesse auch auf andere Bereiche ausgedehnt: die
Germanistik, die Wirtschaftswissenschaften, die Chemie und die Bibliothek. Die Fachkontakte und die
Besuche offizieller Delegationen haben uns dem Ziel nähergebracht, die Hochschulpartnerschaft
vertraglich zu bestätigen.
Viele Persönlichkeiten waren Wegbereiter. Besonders hervorheben möchte ich die Herren Professoren
Lipták und Dároczy aus Debrecen und Prof. Indlekofer aus Paderborn. Herr Indlekofer ist gleichzeitig
Vorsitzender des Deutsch-Ungarischen Freundeskreises; ihm wurde 1992 die Ehrendoktorwürde der
Universität Debrecen verliehen.
Herr Kollege Nagy,
ich bin sicher, daß sich die Beziehungen unserer Universitäten fruchtbar weiter entwickeln und
vertiefen werden.
Der Städtepartnerschaft wünsche ich ein gutes Gedeihen, den Bürgern in beiden Städten
eine friedvolle Zukunft.
Ich danke Ihnen.
Ansprache des Rektors der Kossuth Lajos Universität Debrecen anläßlich der Unterzeichnung der
Freundschaftsurkunden zwischen den Universitäten Debrecen und Paderborn
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Lüke!
Sehr geehrter Herr Rektor!
Sehr geehrter Herr Konsul!
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Hevessy!
Meine Damen und Herren!
In der Geschichte der Kossuth-Universität zu Debrecen ist ohne
Beispiel, daß Stadt und Universität
einen Freundschafts- und Kooperationsvertrag zu gleicher Zeit
abschließen. Die akademischen Bürger der
Kossuth-Universität denken jetzt mit Liebe und Hochachtung an die
entfernte Stadt, Paderborn, deren
Bürger und akademische Bürger wissen – was in
Deutschland ja immer bewußt war – daß auch
östlich von
Wien Europa ist, und nun sind die Paderborner sogar gern bereit, mit
uns einen dauerhaften Kontakt
aufzunehmen.
Daß die freundschaftliche Beziehung nun auch offizielle Formen annimmt, ist ein logischer Schritt, es
gibt doch zahlreiche Gemeinsamkeiten in unserer Lage, in unserer Vergangenheit und Gegenwart. Die
Geschichte von Westfalen und Ungarn mag auch im Bereich der konkreten persönlichen Beziehungen mehr
Zusammenhänge aufweisen als nur den großen Einfluß Albrecht Dürers, väterlicherseits von ungarischer
Abstammung, auf den Paderborner Heinrich Aldegrever. Im allgemeinen stellt es einen zweifellos
bestimmenden Faktor der Geschichte beider Städte dar, daß sie von jeher als regionales geistliches und
kulturelles Zentrum fungieren. Durch historischen Zufall sind die erste Hochschule in Paderborn und die
in Debrecen in nicht zu großer zeitlicher Entfernung entstanden: hier 1614, dort 1538. Beide waren
kirchliche Institutionen, in Debrecen war sie zugleich der unmittelbare Vorläufer der staatlichen
Universität im zwanzigsten Jahrhundert.
Die Paderborner in unserem Kreis, die schon früher in Debrecen waren, wissen, daß die staatliche
Universität in Debrecen im Jahre 1912 gegründet wurde. Im Jahr des Ausbruchs des ersten Weltkriegs –
vor 80 Jahren – wurde das erste akademische Jahr eröffnet. Nach dem Krieg, in fürchterlich schwerer,
später auch von der Weltwirtschaftskrise belasteter Zeit wurde der historische Gebäudekomplex
errichtet. In den Krisenjahren gab es also eine äußerst beharrliche Entwicklungsarbeit in Debrecen,
im Interesse des Hochschulwesens.
Die Universitäten in Mittel-Europa erleben auch jetzt harte Zeiten: wir reformieren und gestalten alles
um; alle Statuten werden neu geschrieben, alle unsere Reflexe neu programmiert. Und all das (und
überhaupt alles) geschieht auf einmal. Inzwischen versuchen wir auch die zwischen 1949 und 1951
zerstückelte Universität Debrecen wieder als einheitliche Universität aufzubauen.
Wir erleben aber zugleich auch bessere Zeiten. Zwar haben Geist, Wissenschaft und Kultur niemals (nicht
einmal im Laufe der vergangenen schweren Jahrhunderthälfte) Grenzen gekannt, doch läßt sich unsere
gemeinsame Zukunft, wo Kontakte möglich sind und genutzt werden können, jetzt, durch die Verhältnisse
begünstigt, klüger und ertragreicher gestalten.
Die Kossuth-Universität Debrecen sieht viel Sinn in dieser Zusammenarbeit. Unter anderem auch, weil
diesmal nicht zuerst der Gedanke zur Zusammenarbeit aufgetaucht ist, – ein solcher Entschluß
führt nicht immer zu einem lebendigem Kontakt –, erfolgreiche gemeinsame Arbeit der
beiden Universitäten Vater des Gedankens war. Wie schon gesagt: jetzt wird, was schon seit einer
geräumigen Zeit funktioniert, in offizielle Form gebracht. Der neue Rahmen kann dem Kontakt zu neuen
Entwicklungsmöglichkeiten verhelfen. Außer der Mathematik-Informatik, der Bibliothekswissenschaft und
Bibliotheksorganisation sowie der Germanistik bieten sich weitere Formen der Zusammenarbeit auf dem
Gebiet der Ausbildung von Wirtschafts- und Lehrerstudenten an; künftige Deutschlehrer könnten aus
Paderborn nach Debrecen kommen, um hier ihre Unterrichtspraxis zu absolvieren. Wir könnten in weiteren
TEMPUS- und EG-Programmen als Partner auftreten; auch könnten wir auf einzelnen Fachgebieten Programme
entwickeln, die zu einem gemeinsamen Diplom führen, oder Formen der Teilausbildung ausarbeiten, und so
die Mobilität von Studenten und Lehrkräften fördern.
Nun wollen wir doch zur Gegenwart zurückkehren. Indem ich Ihnen den Gruß der Kossuth-Universität sowie
ihren Willen zur Zusammenarbeit mit der Universität Paderborn vermittle, habe ich zugleich dem hiesigen
Koordinator der europäischen Beziehungen und Ehrendoktor der Kossuth-Universität, Professor Karl-Heinz
Indlekofer, für seinen Einfallsreichtum und seine erfolgreiche Arbeit zu danken, die er, weder Mühe
noch Zeit scheuend, im Interesse dieses Vertrags geleistet hat. Ich danke Herrn Bürgermeister Lüke,
Magnifizenz Richard, Professor Indlekofer, allen hiesigen Organen, und besonders der
deutsch-ungarischen Gesellschaft für die warme, wirklich herzliche Aufnahme, die auch für die Zukunft
der Kontakte viel verspricht. Ich empfinde es als eine besondere Auszeichnung, daß von den Rektoren der
Kossuth-Universität mir die Ehre zuteil geworden ist, diesen Vertrag zu unterzeichnen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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